Als wir erfahren haben, dass unser zweites Kind ein Mädchen ist, bekam ich von allen Seiten Kommentare wie:
- Oh, wie schön! Eine kleine Prinzessin!
- Mädchen sind ja viel vernünftiger / ruhiger / (un)komplizierter als Jungs.
- Toll, dann hast du ein kleines Mädchen, das du hübsch anziehen kannst!
- Oh, dann bekommst du ja Konkurreeee-henzzzz!
- Da muss der Papa später aber aufpassen, wenn dann die Jungs an die Tür klopfen.
- Die Beziehung zu Töchtern ist ja sowieso viel inniger als zu Söhnen.
Ein Blumenstrauß an Vorstellungen und Erwartungen – dabei war der kleine Mensch noch nicht einmal auf der Welt. Und überhaupt:
Was sagen solche Kommentare eigentlich über unser Frauenbild aus?
Schon von Kindesbeinen an werden Mädchen bewusst und unbewusst in Rollen gezwängt: Lieb, sanft, vernünftig, verletzlich, hübsch, strebsam, sich kümmernd, stutenbissig, abhängig – und bloß nicht auf den Tisch hauen.
Ein Thema, bei dem ich – zugegeben – sehr emotional werde.
Denn im Erwachsenenalter fliegt es Frauen in Form von Sexismus, Gender Pay Gap, sozialer Benachteiligung, Schönheitswahn und anderen Problemen um die Ohren. Themen, die so komplex und festgefahren sind, dass sie Stoff für ganze Forschungszweige und Bücher hergeben.
Worauf ich aber hinaus möchte:
Wie tragen wir eigentlich mit unserem eigenen Verhalten und unbedachten Äußerungen zu diesen Rollenklischees und engen Grenzen bei?
Starten wir mit einem Blick auf unseren Umgang mit Mädchen. (Und bevor du fragst: Die Jungs betrachten wir dann in einem anderen Artikel.)
Hier also:
7 Sätze, die wir nicht mehr zu Mädchen sagen sollten
Vielleicht wirst du dich bei dem einen oder anderen Satz ertappt fühlen, denn es sind Sätze, die unseren Ohren leider sehr vertraut sind. Es geht mir nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen, sondern – wie immer: zu sensibilisieren. Weil selbst kleine Dinge, die wir sagen, auf unsere Kinder eine Wirkung haben können.
Einer der Klassiker:
1. „Du siehst aber hübsch aus!“
Oder auch: „Hast du aber ein schönes Kleid an! Und oh, wie schön deine Haare sind!“
You name it.
Äußerlichkeiten.
Lieb gemeinte, scheinbar harmlose Komplimente. Kleine Mädchen bekommen sie ständig. Nur:
Warum können wir es nicht einfach mal lassen, übers Aussehen zu reden?
Denn die Botschaften, die solche Aussagen an unsere Kinder vermitteln, sind:
- Es ist wichtig, wie ich aussehe / welche Kleidung ich trage.
- Ich bekomme positive Aufmerksamkeit, wenn ich hübsch aussehe oder etwas Besonderes trage.
Und daraus kann ein Kind durchaus für sich schlussfolgern:
- Ich muss hübsch sein, um gemocht zu werden.
Eine Annahme, die im Erwachsenenalter nicht nur anstrengend, sondern auch problematisch ist. Und weit verbreitet.
Medien, Spielzeughersteller, Märchen und die Werbung befeuern unsere Kinder ebenso mit dieser Botschaft. Völlig bewusst, wenn du mich fragst. Das Ziel? Konsum. Denn selbstbewusste und zufriedene Menschen konsumieren weniger. Aber das ist noch ein ganz anderes Thema.
Interessanterweise fühlen wir uns bei Mädchen besonders geneigt, Komplimente über ihr Aussehen zu machen. Und ja, ich hab mich dabei auch schon erwischt.
Natürlich sind Komplimente nette Gesprächsöffner. Aber könnten wir Mädchen nicht stattdessen einfach fragen:
- Was für ein Spielzeug hast du denn da mitgebracht? Darf ich mal sehen?
- Was spielst du denn im Moment am liebsten?
- Hast du ein Lieblingsbuch?
- Wofür interessierst du dich zur Zeit?
Damit lenken wir den Fokus auf ihre Interessen und zeigen Neugier auf das wirklich Wichtige: ihr Wesen.
2. „Das kannst du nicht!“
Ist dir auch schon mal aufgefallen, dass kleine Mädchen tendenziell weniger ermutigt werden, Risiken einzugehen und ihre körperliche Stärke auszuspielen als Jungs?
Kleine Mädchen als zerbrechlich oder vernünftig zu sehen, bestärkt sie genau darin. Und auch, wenn Beschützerdrang und unser Bedürfnis nach Sicherheit groß sind: Risiken einzugehen ist ein unglaublich wichtiger Teil der Kindheit. Egal, ob körperlich, emotional, sozial oder im Hinblick auf das Lernen neuer Dinge. Die Idee, raus in die Welt zu gehen und etwas außerhalb der Komfortzone auszuprobieren, ist ein wichtiger Weg, unsere Entschlossenheit und Widerstandsfähigkeit zu stärken.
Deshalb müssen (auch) Mädchen auf Bäume klettern, Hügel hinunterrollen, laut und energisch sprechen, springen, schnell rennen und den Umgang mit echtem Werkzeug lernen. Und das mindestens genauso viel wie Jungs – und bitte ohne ein großes Ding daraus zu machen.
Ermutigen wir unsere Mädchen also stattdessen:
„Fühlt sich das sicher an? Ich vertrau dir. Du schaffst das!“
Gleiches gilt im Übrigen für Spielzeuge, bei denen es um Technik, Mathematik, räumliches Denken oder Mechanik geht – und die leider noch immer in erster Linie an Jungs adressiert sind. (Ideen für genderneutrale Spielzeuge findest du übrigens hier.)
Deshalb: Wenn sich deine Tochter für etwas interessiert, ermutige sie. Und wenn sie sich etwas zutraut – wunderbar! Gib ihr die Unterstützung, die sie braucht. Dafür wird sie dir irgendwann sehr dankbar sein.
3. „Du wirst ja ganz schmutzig!“
Dasselbe hier: Ein Satz, der hemmt. Spaß verdirbt. Dem Entdeckerdrang eine Leine anlegt. Bei Mädchen, genau so wie bei Jungs.
Klar, es gibt unfassbar schöne (und unbequeme und ziemlich erwachsen anmutende und unpraktische) Kleider für kleine Mädchen. Aber der Preis für saubere Kleidung ist leider sehr hoch. Denn kleine Kinder müssen ihre Umgebung sensorisch erkunden – durch Anfassen, Klettern, Rollen, Krabbeln, Fallen, Springen, Planschen, Waten. Und das bedeutet, schmutzig zu werden. Also her mit dem bequemen und funktionellen Outfit und ab in die Pfütze.
„Die Hose werfen wir nachher einfach in die Waschmaschine zum Waschen. Dann wird sie wieder sauber. Und jetzt los! Viel Spaß!“
4. „Gib Opa doch mal ein Küsschen!“
„…sonst ist er ganz traurig.“
In Sätzen wie diesen stecken drei große Probleme:
- Die Aufforderung zu körperlicher Zuneigung, die vom Kind immer selbst ausgehen sollte.
- Es wird Druck durch Schuldgefühle erzeugt.
- Das Kind wird für die Gefühle des Erwachsenen verantwortlich gemacht.
Die Autonomie des Körpers zu respektieren ist ein wichtiger Bestandteil, um Kindern beizubringen, ihren eigenen Körper zu respektieren und feste Grenzen zu setzen, wenn es darum geht, dass andere ihre Grenzen überschreiten. Und das fängt bei uns an.
Körperliche Zuneigung wie Umarmungen oder Küsschen sollten nie transaktional sein. Sondern rein von Herzen kommen – und nicht, weil wir (oder jemand anderes) sie dazu bestechen, manipulieren oder ihr Schuldgefühle einreden.
Fragen wir also: Kann ich einen Kuss bekommen/dich umarmen/mit dir toben?
Und ein Nein ist immer okay. Genauso wie ein Stopp. Unsere Kinder dazu zu ermutigen und zu ermächtigen, ist unsere Aufgabe.
5. „Ich bin fett.“
Wieder Äußerlichkeiten. Hier aber tiefergehend, denn es geht um viel mehr: Unser Verhältnis zu unserem Körper. Unsere Ablehnung. Unsere Scham. Ein geringes Selbstwertgefühl. Angst vor Kritik. Und der empfundene Druck, einem Schönheitsideal oder Erwartungen von anderen entsprechen zu müssen.
Nur: Das Problem löst sich nicht mit verlorenen Pfunden auf. Es liegt nicht außen, sondern innen.
Ich wünsche mir, dass unsere Kinder davon unbelastet bleiben.
Das bedeutet aber auch umgekehrt: Keine Body Positivity. Damit meine ich diese gut gemeinte Rhetorik mit Sätzen wie: „Liebe deine Dellen, Dehnungsstreifen, Pölsterchen, Narben oder andere vermeintliche Makel. Du bist schön! Dein Körper ist so wunderschön!“
Denn ehrlich? Ich kann es nicht mehr hören. Selbstakzeptanz ist wichtig, keine Frage. Sie sollte aber nicht äußere Schönheit in den Mittelpunkt stellen.
Wahrscheinlich mache ich mich damit unbeliebt, aber können wir uns vielleicht einfach darauf einigen:
Wir haben alle einen Körper. Ende.
Wir hören einfach auf, Körper zu bewerten oder zu kommentieren. Weder beschämend noch bewundernd. Und statt jemandem für die verlorenen 5 Kilo zu gratulieren, können wir doch lieber positiv anmerken:
Du wirkst richtig zufrieden / du strahlst.
So oder so: Lassen wir die Kinder – besonders Mädchen – mit unserem Körperkult bitte einfach in Ruhe!
(Mic drop.)
6. „Da unten…“
Und wenn wir schon bei Körpern sind: Wie selbstverständlich nutzen wir das Wort Penis? Und wie sprachlos oder peinlich berührt sind wir plötzlich, wenn es darum geht, das weibliche Geschlechtsorgan beim Namen zu nennen?
Scham ist dabei nicht nur buchstäblich Teil der Sprache, sondern auch das Gefühl, das wir bekommen, wenn wir über das weibliche Genital sprechen und uns plötzlich „da unten“ sagen hören.
Und das merken unsere Kinder natürlich.
Nutzen wir Worte wie Scheide oder Vagina, sind diese genau genommen unvollständig, denn sie bezeichnen nur die inneren Geschlechtsorgane. Anatomisch korrekt für den äußeren Intimbereich ist das Wort Vulva. Die Vulva umfasst (Achtung, nicht schämen…) Schamlippen – schönere Begriffe sind: Labien oder Vulvalippen – und Klitoris. Aber ist der Begriff Vulva wirklich in unserer Alltagssprache angekommen?!
Zu diesem Thema kann ich dir ein Interview mit einer Sexualpädagogin über kindliche Sexualität im Onlinemagazin Edition F empfehlen. Sehr hilfreich und lesenswert!
Für ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper braucht es zuallererst Sprache. Ohne Scham.
„Wenn Kinder unsere Scham übernehmen, bleiben sie oft sprachlos und vielen Situationen gegenüber machtlos.“
Daniela Thörner in Mädchen, Junge, Kind. Geschlechtersensible Begleitung und Empowerment von klein auf**
7. „Du bist ganz schön zickig!“
Lies zu diesem Thema gern meinen Artikel Wild, brav, schüchtern, klug – Warum Labels Kinder einschränken.
Und abgesehen von Zuschreibungen im Allgemeinen, ist ‚zickig‘ ein absolutes Unwort. Oft verwendet, wenn ein Mädchen (oder eine Frau) für sich einsteht, ohne gefällig zu sein.
Ähnlich problematisch ist das Thema Wut oder Aggressionen bei Mädchen. Beides sind sehr wichtige Energien – doch gerade für Mädchen und Frauen tabu. In unserer Kultur wird von Mädchen erwartet, dass sie lieb und zurückhaltend sein sollen. Rücksicht nehmen, sich um andere kümmern, für Harmonie sorgen – und ja nicht laut, wütend oder grob sein. Das führt dazu, dass viele Frauen im Erwachsenenalter den Druck verspüren, es jedem recht machen zu müssen, um akzeptiert zu werden.
Stattdessen sollten wir unseren Kindern zeigen, wie sie auf ihre Bedürfnisse achten können – ohne andere zu verletzen. Aber auch ohne sich wegzuducken.
Sich abgrenzen zu können, ist wichtig. Zeigen wir unseren Töchtern doch, wie es respektvoll geht.
Zum Thema kindliches Selbstbewusstsein wird es bald einen Blogartikel geben. Du möchtest keinen neuen Artikel verpassen? Dann melde dich für meinen Newsletter an!
Weg mit Erwartungen an Mädchen
Geschlechterklischees schaden Mädchen genauso wie Jungs, denn sie schränken Handlungsspielräume ein. Und die Möglichkeit, das eigene Selbst zu entdecken – völlig losgelöst von Rollenzuschreibungen und -erwartungen.
Ich möchte, dass unsere Töchter wissen, dass
- sie ihr Wesen auf ganz unterschiedliche Art ausdrücken dürfen
- sie ihre Gefühle (besonders Wut) nicht unterdrücken müssen, um anderen zu gefallen,
- ihr Körper nur ihnen gehört und dass er ihr Begleiter durchs Leben ist, der sie trägt und den sie mit Respekt behandeln (und behandeln lassen)
- sie für sich einstehen müssen – und dürfen
- Nein ein wichtiges Wort ist
- sie Risiken eingehen, laut und wild sein dürfen,
- ihre eigenen Bedürfnisse wichtig sind und sie diese ernst nehmen und erfüllen müssen.
Und eigentlich: Ersetze das Wort ‚Töchter‘ doch bitte durch ‚Kinder‘.
Alle Kinder.
Natürlich werden wir dieses komplexe System der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen nicht durch unsere bewusste Sprache umwälzen. Sieh diesen Artikel als Einladung, über unser unbewusstes Verhalten gegenüber Mädchen und unser erlerntes Frauenbild nachzudenken. Eine bewusste Sprache und sensible Haltung unseren Kindern gegenüber ist beim Thema Rollenklischees in jedem Fall ein kleines Puzzleteil. Ändern müssen sich natürlich sehr komplexe Systeme.
Du möchtest mehr zu diesem Thema?
Eine sehr sehenswerte zweiteilige Doku gibt es in der ZDF-Mediathek:
No more Boys and Girls. Darin gibt es spannende Einblicke in die bereits stark ausgeprägten Rollenbildern, die bereits 7-jährige Kinder haben. Es war für mich etwas erschreckend. Eine wunderbare Einladung, mal über die eigenen Geschlechterbilder und Rollenverhalten nachzudenken und Wände aus alten Klischees und Erwartungen einzureißen – damit unsere Kinder nicht mehr dagegen prallen müssen.
Mädchen, Junge, Kind: Geschlechtersensible Begleitung und Empowerment von klein auf* von Daniela Thörner & Slinga. Ein Buch, das Eltern und Pädagog:innen einen sehr verständlichen, sensiblen Einstieg und fundiertes Hintergrundwissen zur komplexen Thematik von Geschlechtsidentität gibt. Ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit humorvollen Illustrationen von Slinga. Ein Leitfaden, der vom Kleinkind- bis zum Teeniealter führt – mit vielen praktische Beispielen, wie wir z.B. die Komplexität von Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierungen kindgerecht erklären können und mit unseren Kindern ins Gespräch kommen – und bleiben. Große Leseempfehlung! Hier kannst du das Buch direkt beim Verlag Familiar Faces bestellen.**
Untenrum frei* von Margarete Stokowski. Vorab: Ich mag die Arbeit, die Gedankengänge und die Sprache von Margarete sehr und bin treue Leserin ihrer Spiegel-Kolumne. In diesem sehr kurzweiligen Buch verpackt sie Gesellschaftskritik in eine sehr persönliche Reflexion. Emotional, zum Teil auch provokant. Es geht um Scham, Ungleichgewicht von Macht und eine nie stattgefundene sexuelle Revolution. In ihrer Beschreibung ihrer 90er-Jahre-Sozialisation zwischen Barbies, fragwürdigen Bravo-Inhalten und überall präsentem Sexismus und Konsum habe ich mich sehr wiedergefunden. Einige Inhalte mögen für manche streitbar sein, aber ich denke, sie stellt sehr wichtige Fragen und gibt Einblicke in ihr Verständnis von Feminismus.
Ein Mädchen wie du* von Frank Murphy & Carla Murphy. Ein Buch, das Mädchen ermutigt, sie selbst zu sein. Dieses Buch hat keinen Platz für Rollenklischees von zurückhaltenden, gefälligen, hübschen Mädchen und zeigt ein modernes Frauenbild. Vielfalt wird gefeiert. Ein wundervolles Buch, das nicht nur für Mädchen ein Schatz ist. Hier kannst du das Buch direkt beim Zuckersüß Verlag bestellen.**
Mehr Empfehlungen für Kinderbücher findest du hier.
In meinem nächsten Artikel schauen wir mal auf die Jungs und warum sie es vielleicht sogar noch schwerer haben als Mädchen. Darin gibt es auch ein wenig Hintergrundwissen zum Thema Geschlechteridentität. Melde dich gern für meinen Newsletter an, um diesen und weitere neue Artikel nicht zu verpassen!
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