Der magische Schlüssel zu deinem Kind – in allen Lebenslagen

Empathie Verbindung zu Kind stärken

Mein dreijähriger Sohn schreit aus voller Kehle und stampft wie wild mit den Füßen. Sein Gesicht ist knallrot. Die Fäuste geballt. Ich kann ihn gerade noch davon abhalten, die Obstschale samt Inhalt auf den Boden zu schmettern. Ein Wutausbruch.

Ich atme durch, hocke mich vor ihm hin, berühre ihn vorsichtig am Arm. Ich versuche, Augenkontakt herzustellen. Mit ruhiger Stimme sage ich zu ihm: „Du ärgerst dich gerade so sehr. Du bist wütend, weil wir noch nicht essen können, oder?“

Er schreit tränenüberströmt: „Jaaaaaaa!“ 

Dann sage ich: „Du willst jetzt essen. Du hast echt Hunger, ich weiß. Und du hast dich schon seit heute morgen auf die Pizza gefreut… Genauso geht’s mir auch.“

Er (schreiend): „Ich will die Pizza. JEEEETZT!!!“

Ich hol kurz Luft. „Ich weiß, Schatz… Aber wir müssen noch eine halbe Stunde warten, bis sie fertig gebacken ist. Manchmal ist es echt blöd, so lang warten zu müssen…“ 

Während ich spreche, wird er deutlich ruhiger und hört zu. Dann beende ich meinen letzten Satz – und er beginnt wieder, laut zu schreien und zu weinen. Dabei lässt er sich nun aber in meine Arme fallen. Ungefähr zwei Minuten halte ich ihn und streichle ihm sanft über den Rücken, bis er ruhiger wird, sich aus der Umarmung löst und mich fragt: „Wollen wir jetzt spielen gehen?“ Klar. Und dann gehen wir zum Spielen ins Wohnzimmer. Cool und zufrieden. Bis unsere Pizza essbereit ist.

So in etwa laufen bei uns (die meisten) Gefühlsstürme ab – seit ich diesen magischen Schlüssel bewusst in meine Worte packe: Empathie.

Empathie – eine menschliche Superkraft.

Ich möchte an dieser Stelle ein Loblied auf die Empathie singen. Ganz laut. Denn sie ist eine Superkraft. Und das, obwohl sie etwas zutiefst Menschliches ist. Oder in diesem Fall gerade, weil sie so menschlich ist.

Empathie ist der Schlüssel zu unserem Kind und zu einer starken Verbindung. Zu einer warmen, sicheren Atmosphäre innerhalb der Familie. Zu einem Gefühl des Verstanden- und Geliebtwerdens. Und überhaupt.

Empathie ist unser wirksamstes Mittel, um unserem Kind zu helfen, Gefühle zu verarbeiten und einen gesunden Umgang mit Emotionen zu lernen. 

Lebenswichtig, wenn du mich fragst.

Was ist Empathie?

Empathisch zu sein bedeutet, erkennen zu wollen und zu können, was dein Kind fühlt. Das kann auf zwei Ebenen sein:

  • auf der Ebene deines eigenen Gefühls – also echtes Mitgefühl,
  • oder auf der Ebene deines Verstandes: Du kannst dir vorstellen, wie dein Kind sich fühlt, ohne es selbst nachzuempfinden.

Empathie ist eine Haltung

Wichtig ist, dass dein Kind dein Verständnis fühlen kann. Echtes Verständnis. Du versetzt dich in die Lage deines Kindes und fühlst nach, wie es sich fühlt.

So kann es für ein Kleinkind durchaus ein kleiner Weltuntergang sein, wenn es vom Spielplatz nach Hause muss, wenn es gerade noch im Sand buddeln wollte. Oder ein Riesenärgernis, wenn Papa die falsche Zahnpasta gekauft hat.

„Wenn Kinder sich verstanden fühlen, nehmen ihre Einsamkeit und ihr Schmerz ab. (…) Wenn wir die Notlage eines Kindes aufrichtig anerkennen und seine Enttäuschung zum Ausdruck bringen, sammelt es oft die Kraft, sich der Realität zu stellen.

Haim Ginott
kind Wutanfall was tun

Wie zeigst du deinem Kind gegenüber Empathie?

Indem du ihm spiegelst, was es dir zeigt. Indem du deinem Kind zuhörst, ohne zu bewerten. Und indem du Verständnis für seine Gefühle ausdrückst. Ohne den Grund für das Problem anzugehen. Du erkennst einfach die Notlage deines Kindes an, egal aus welchem Grund. Dabei zeigst du Mitgefühl. Aber weder durch mechanisches Nachplappern, noch durch übertrieben dramatische Reaktionen. Sondern aufrichtig und authentisch. Echte Empathie ist im Körper spür- und nachweisbar.

Wie kannst du Empathie ausdrücken?

  • „Du siehst traurig aus.“
  • „Das muss echt schwierig für dich gewesen sein…“
  • „Ich versteh, dass dich das ärgert.“
  • „Heute geht für dich irgendwie alles schief, oder?“
  • „Du klingst echt wütend…“
  • „Das klingt, als wärst du echt wütend auf deinen Bruder.“
  • „Das tat dir weh, oder?“
  • „Du würdest jetzt am liebsten das Eis haben, ich weiß…“
  • „Ja, das kann echt frustrierend / ätzend / blöd / schwierig sein…“
Die 4 Elemente von Empathie nach Dr. Brené Brown

Wenn sich dein Kind mit seinen Emotionen gehört, gesehen und verstanden fühlt, kann es die Gefühle verarbeiten.

Indem du Gefühlen einen Namen gibst, erweiterst du auch das Vokabular deines Kindes. So kann es sagen: „Ich bin frustriert!“ – statt zu hauen, das Puzzle zu werfen oder mit dem Fuß gegen die Wand zu treten.

In 4 Schritten zu einer echten Verbindung

In 4 einfachen Schritten kannst du mittels Empathie eine echte Verbindung zu deinem Kind aufbauen.

Ein Beispiel:

Dein Kind kommt mit einem finsteren Gesichtsausdruck in den Raum und schimpft:

„Benny ist blöd. Der soll verschwinden. Ich will, dass er nicht mehr hier wohnt.“

Statt gleich loszulegen und zu sagen: „Benny ist dein Bruder. Hier verschwindet niemand. Er darf hier genauso wohnen wie du… warum könnt ihr euch nicht einfach mal vertragen? Müsst ihr immerzu streiten?“ – könnte eine empathische Reaktion z.B. so aussehen:

  1. Du gehst in einer Form in Kontakt mit deinem Kind, z.B. auf Augenhöhe und mit Augenkontakt.
  2. Du beschreibst, was du wahrnimmst und benennst Gefühle. Da du hier nicht allzu viele Informationen hast, bietet es sich an, etwas zu sagen wie: „Das klingt, als wärst du echt wütend auf deinen Bruder.“ Dies ist ein guter Gesprächsöffner. Du bist aufgeschlossen, spiegelst, was du siehst und bewertest nicht. Auf deinen Kommentar wird dein Kind vielleicht zustimmend antworten. Vielleicht bekommst du mehr Informationen darüber, was passiert ist bzw. was dein Kind so verärgert hat.
  3. Dann drückst du deine Akzeptanz und Anerkennung für die Gefühle deines Kindes aus. Etwa so: „Ja, es ist nicht immer leicht, sich das Zimmer mit seinem Bruder teilen zu müssen…“ Oder: „Okay, das hat dich echt wütend gemacht, als er deinen Turm umgeworfen hat. Du hattest wirklich lang daran gebaut und du wolltest ihn gern stehen lassen.“
  4. Und erst im vierten Schritt könntest du zum Problem selbst kommen: Vielleicht erfragst du, warum Benny dieses oder jenes gemacht hat, oder ihr sucht gemeinsam Lösungen, wie deine Kinder ohne unnötigen Streit besser miteinander auskommen.

Was ist Empathie nicht?

Empathie wird oft missverstanden – deshalb hier 7 Punkte, was Empathie nicht ist bzw. was du nicht machen musst, wenn du Empathie zeigen möchtest:

1. Empathie ist kein Mitleid!

Es besteht ein großer Unterschied zwischen Mitleid (d.h. du übernimmst die Gefühle und machst die Probleme zu deinen eigenen) und Mitgefühl (d.h. du erkennst Gefühle an, zeigst Verständnis und gibst Rückhalt). Empathie ist Mitgefühl.

2. Empathie bedeutet nicht, dass du mit deinem Kind einer Meinung bist.

Du verstehst nur, wie und warum dein Kind sich gerade so fühlt, wie es sich fühlt. Du siehst es und erkennst es an.

Beispiel: Du hast Pancakes zum Frühstück gemacht und findest sie sensationell. Dein Kind würde lieber Spaghetti essen und fängt an zu weinen. Du erkennst die Meinung deines Kindes an:

„Ach, Schatz… Du möchtest keine Pancakes… Du würdest jetzt viel lieber Spaghetti essen und ärgerst dich, dass es jetzt keine gibt. Ich weiß, du liebst Spaghetti und würdest sie am liebsten morgens, mittags und abends essen…“

3. Empathie bedeutet auch nicht, dass du eine Grenze, die du gesetzt hast, öffnen musst.

Denn darum geht es hier nicht. Es geht um Gefühle. Und ums Angenommenwerden. Punkt. Dein Kind bekommt zwar nicht alles, was es sich wünscht, aber es erlebt etwas viel Wichtigeres: Jemanden, der es versteht und akzeptiert – egal, was passiert.

4. Du musst die Gefühle deines Kindes auch nicht zwingend benennen.

Es reicht aus, wenn du genau beschreibst, was du wahrnimmst: was dein Kind möchte oder sich wünscht, oder was passiert ist. Wenn du nicht genau weißt, wie sich dein Kind genau fühlt, kannst du immer die Situation beschreiben und seine Perspektive anerkennen.

5. Du fragst dein Kind auch nicht aus.

Nur zu fragen, „Was ist denn los mit dir?“ ist keine Empathie. Wenn du empathisch sein möchtest, drückst du aus, was du siehst: „Hey, du siehst traurig aus.“ Oder: „Du hast gerade deinen Rucksack in die Ecke geworfen. Irgendetwas scheint dich echt sauer gemacht zu haben…“

6. Du versuchst nicht, deinem Kind seine Gefühle auszureden.

Ein ganz wichtiger Punkt. Beliebte Sätze sind: „Ist doch alles gut!“ oder „Das ist doch kein Grund sich zu ärgern!“

Wie mich diese Sätze aufregen… Denn für dein Kind ist in dem Moment nicht alles gut. Und doch, für dein Kind gibt es gerade sehr wohl, einen Grund, sich zu ärgern. Das muss zwar nicht bedeuten, dass es für dich ein Grund wäre (siehe 2.). Aber es geht gerade nicht um deine Sicht der Dinge, sondern um dein Kind. Und darum, wie es die Welt gerade erlebt. Genau das mit ehrlichem Mitgefühl anzuerkennen, darum geht’s.

7. Empathie ist kein Trick, um dein Kind zu manipulieren.

Im Gegenteil. Empathie ist eine innere Haltung. Und ein Weg, eine Verbindung zu deinem Kind (oder einem anderen Menschen) herzustellen, die Welt durch die Augen deines Kindes zu sehen und ihm bei der Verarbeitung seiner Gefühle zu helfen.

Warum Empathie so kraftvoll ist
Warum Empathie so kraftvoll ist

Empathie immer vor Problemlösung

Sicher möchtest du das Problem, das dein Kind so aus der Fassung bringt, gelöst haben. Möglichst schnell. Du möchtest dabei helfen, den Streit zwischen Geschwistern beizulegen, oder erklären, dass ihr mit dem Kuchenessen eben noch auf den Besuch warten wollt.

Aber nochmal: Es geht in diesem ersten Moment nicht um das Problem, sondern um die Gefühle deines Kindes. Sobald sich dein Kind gesehen, verstanden und angenommen fühlt, wird es anfangen, sich zu beruhigen. Erst dann kommt der richtige Moment für dein Coaching und Problemlösungen.

Dieser eine „Zwischenschritt“ ist also sehr entscheidend: Antworte im ersten Moment nicht auf der Fakten- oder Sachebene, sondern hol dein Kind erst einmal emotional ab.

Empathie löst keinen „Trotzanfall“ auf

Nein. Darum geht es auch nicht. Wenn dein Kind einen „Trotzanfall“ hat, befindet es sich im „Kampf-Flucht-Modus“. Für Worte ist es dabei kaum empfänglich. Deshalb gibt es hier nur einen ersten Zugang auf der Gefühlsebene. Mit deiner Empathie leistest du so etwas wie emotionale „Erste Hilfe“ für dein Kind.

Dein erstes Ziel ist es, deinem Kind eine sichere Atmosphäre zu schaffen, in der es seinen Gefühlen freien Lauf lassen kann. Denn nur, wenn dein Kind die Gefühle zulässt und lernt, mit ihnen umzugehen, kann es sie überwinden und daran wachsen.

Dabei sind wenige klare Worte im Übrigen besser als lange Vorträge. 

Und das Wichtigste ist, dass du in diesem Moment selbst entspannt bist. Denn nur so kannst du deinem Kind das Gefühl vermitteln, verstanden zu werden.

Dieser 5-Schritte-Plan zeigt dir, wie du gelassen, liebevoll und achtsam mit dir und deinem Kind bleibst – in jeder Situation.

Aber verstärkt Empathie das Weinen nicht?

Es sieht zwar oft so aus, aber die Wahrheit ist: Nein. Empathie führt nicht dazu, dass dein Kind mehr oder länger weint. Lass es mich so erklären:

Du kennst das wahrscheinlich. Etwas Schlimmes ist passiert. Du versuchst, dich zusammenzureißen und jemand Vertrautes kommt zu dir, nimmt dich in den Arm und sagt sanft und ehrlich: „Oh Mann. Das muss gerade echt schwer für dich sein.“ Wahrscheinlich würdest du in Tränen ausbrechen, wenn du dich bei der Person sicher und verstanden fühlst. (Also ich würde es.) 

Das Gefühl und das Weinen werden nicht durch die Empathie hervorgerufen. Denn das Gefühl und dein Bedürfnis, zu weinen sind sowieso da. Und begegnet dir jemand einfühlsam und verständnisvoll, fühlst du dich so sicher, dass du den Gefühlen freien Lauf lassen kannst. Nach einem heftigen Tränenguss fühlt sich dann vieles klarer und leichter an.

Keine Angst vor negativen Gefühlen unserer Kinder

Weinen ist okay, heilsam und gesund. Ebenso der Ausdruck von Wut und Enttäuschung. Ohne Zensur und ohne Maulkorb. Wenn ein Kind weint, fühlt es sich sicher, seine Gefühle zuzulassen und zu zeigen – was sehr gesund und positiv ist.

Genau so sollten wir es sehen, statt jedes Mal nervös zu werden und nach Ablenkung zu suchen, sobald bei unseren Kindern Tränen fließen und Gefühle hochkochen.

Du begleitest dein Kind durch die starken Gefühle hindurch. Und Empathie ist deine menschliche Superkraft. Eine Haltung, die – sobald du sie verinnerlicht hast und in den Alltag und den Umgang mit deinem Kind immer wieder bewusst integrierst – ein wirklicher Game Changer sein kann.

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1 Kommentare

  1. Gerd und Christine Spranger

    Vielen Dank für Ihren interessanten Artikel. Ja, Empathie bedeutet, die Gefühle jener Menschen zu erkennen und zu verstehen, mit denen wir es täglich zu tun haben. Nur so können wir angemessen darauf reagieren und handeln. Wer empathielos ist, hat oft wenig Einfühlungsvermögen für andere Menschen. In einer Beziehung kann das den Partner unter Umständen unglücklich machen. Es gibt ganz unterschiedliche Gründe dafür, warum jemand empathielos ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man es trainieren kann, eine andere Person besser zu verstehen. Dabei geht es doch darum, das zu spüren, was der andere fühlt.
    Jeder Mensch ist unterschiedlich, manche sind sehr sensibel und können sofort spüren, was in einem Gespräch in der Luft liegt. Andere sind da eher schwerfälliger und können sich nur sehr schwer, in andere Personen hineinzuversetzen. Wir haben uns schon oft Gedanken darübergemacht, was die Ursachen für diese Unterschiede sind.
    Wer Empathie hat, der hat Mitgefühl für eine andere Person und wird auch als emotional intelligent bezeichnet. Ich versuche immer darauf zu achten, was mir mein Herz sagt bei einer Begegnung mit anderen Menschen. Wir alle begegnen häufig fremde Personen und oft ist es hilfreich zu spüren, was der andere fühlt und denkt. Wer dafür ein Gespür entwickelt räumt gewisse Missverständnisse vor vornherein aus.
    Wir denken, wir alle besitzen die Fähigkeit der Empathie. Allerdings ist sie bei allen unterschiedlich stark vorhanden. Manche sind von Haus aus einfach begabter dafür und andere müssen sich das Wissen über die Empathie erst besser aneignen. Auf alle Fälle hilft Empathie dabei, Verständnis für eine andere Person zu entwickeln. Und das ist im Alltag sehr gut. Damit lassen sich viele Herausforderungen meistern und bewältigen.
    Wir haben gelesen, dass neue Forschungen darauf hinweisen, dass Empathie und Mitgefühl gerade auch mit sich selbst und natürlich mit anderen Menschen Schlüsselfaktoren sind, um geistig gesund zu bleiben und sich selbst emotional wohlzufühlen. Achtsamkeit und Mitgefühl fehlen bei Menschen ohne Empathie
    Wenn sie diese Fähigkeiten vernachlässigt haben, können sie sie kultivieren. Meist sind Menschen davon betroffen, die in erster Linie nur mit sich selbst beschäftigt sind. Ihnen fehlt oft der Blick hin zum Nächsten.

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