Kindern Grenzen setzen: Warum sind Grenzen wichtig und welche sind sinnvoll?

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Kinder brauchen Grenzen. Ist das nicht eines der großen Eltern-Mantras? Besonders, wenn wir das Gefühl haben, dass etwas aus dem Ruder läuft. Aber ganz ehrlich: Ich mag diesen Satz nicht. Er klingt nach alter Schule, eisernem Zaun, Machtdemonstration – und Stress. Als müssten Eltern ihren Kindern Grenzen setzen, um ihnen zu beweisen, dass es Grenzen gibt.

Besser gefällt mir dieses Bild:

Grenzen sind wie Geländer an einer Brücke. Ohne sie könnten wir uns nur sehr vorsichtig bewegen. Mit ihnen als Begrenzung erkennen wir den Weg besser und laufen sicher über die Brücke – in der Gewissheit, dass wir geschützt sind.

Damit sind wir schon beim wichtigsten Aspekt, wenn du mich fragst:

Grenzen bilden einen Rahmen, der Orientierung und Sicherheit gibt.

Aber: Das gilt nicht nur für Kinder. Deshalb schreiben wir dieses Mantra erstmal fix um, bevor wir zu den anderen Fragen kommen:

In einer Welt voller Grenzen

In einer Welt, in der es (ohnehin) viele sichtbare und unsichtbare Grenzen gibt, brauchen Menschen also Orientierung und Sicherheit. Das klingt doch schon viel weniger nach bewaffneten Grenzkontrollen – und mehr nach dem, um was es eigentlich geht:

Verantwortung.

Für unsere Kinder. Für uns selbst. Für unser Miteinander. Für die Welt.

Und genau da wird es knifflig.

Denn wir bewegen uns zwischen elterlicher Fürsorgepflicht, unseren eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Grenzen – und den Vorstellungen unserer Kinder. Garniert wird das Ganze mit vielen, vielen Gefühlen auf allen Seiten und wenig hilfreichen Kommentaren von der Seite: „Ist das nicht ein bisschen zu lasch…? Jetzt sei mal nicht zu streng!“

Ein großes Thema, das viel Stoff für eine Artikelserie zum Thema Kindern Grenzen setzen hergibt.

Here we are, herzlich willkommen.

Den goldenen Weg für alle kann ich natürlich nicht zeigen. Aber ich gebe dir ein bisschen Klarheit und Orientierung in diesem großen Thema, damit du deinen eigenen Weg finden kannst.

Versprochen.

Zuallererst schauen wir uns deshalb in diesem ersten Artikel ganz grundlegende Fragen an:

  • Was sind Grenzen und welche Arten von Grenzen gibt es?
  • Wie erkennen wir sinnvolle Grenzen?
  • Warum ist es wichtig, zwischen Wünschen und Bedürfnissen zu unterscheiden?

Welche Fehler wir beim Grenzen setzen häufig machen und wie wir unseren Kindern respektvoll und achtsam Grenzen kommunizieren, das erfährst du in den beiden darauf folgenden Artikeln dieser Serie. Melde dich gern für meinen Newsletter an, um keinen neuen Blogartikel zu verpassen.

Los geht’s:

Was sind Grenzen?

Wir Menschen bewegen uns in einem Raum. In diesem Raum finden Beziehungen und Handlungen zwischen Menschen statt. Grenzen sind darin wie Schutzlinien für Menschen. Sie zeigen, bis zu welchem Punkt es uns (und unserem Gegenüber) gut geht und ab wann nicht mehr. Sehr hilfreich ist es, sich Grenzen auf den verschiedenen Ebenen bewusst zu machen.

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Individuelle persönliche Grenzen, die uns selbst schützen

Wir haben körperliche Grenzen:

  • Welche Berührung kann ich von wem zulassen? 
  • Ab wann tut mir etwas weh?
  • Was und wieviel kann ich körperlich leisten?
  • Wann brauche ich eine Pause?

Emotionale Grenzen:

  • Was halte ich seelisch aus? 
  • Welche wunden Punkte habe ich?
  • Welches Verhalten verletzt mich?

Grenzen, die unsere Werte schützen

  • Welche Standards für z.B. Verhalten, Umgang miteinander, Ernährung oder Freizeitgestaltung sind mir wichtig?

Grenzen, die durch äußere Gegebenheiten mitbestimmt werden

Zeitliche Grenzen:

  • Wieviel Zeit steht uns für etwas zur Verfügung?

Finanzielle Grenzen:

  • Wieviel Geld steht uns zur Verfügung?
  • Was können wir uns finanziell leisten und was nicht?

Soziale Grenzen innerhalb einer Gesellschaft

Zwischen Menschen und in Gesellschaften gibt es natürlich auch Grenzen:

  • Welches Verhalten ist wem gegenüber (kulturell) akzeptabel und welches nicht?

Dabei geht es natürlich – ganz wichtig – auch um den Schutz von Menschen:

  • Ab welchem Punkt sind die Sicherheit und Gesundheit eines Menschen gefährdet?

Naturgegebene Grenzen

Neben all den (zwischen-)menschlichen Grenzen stoßen wir natürlich auch immer an natürliche, reale Grenzen. Dinge, die wir nicht ändern können:

  • Wir können Wolken oder Berge nicht wegschieben.
  • Ein zerbrochener Keks kann nicht repariert werden.
  • Wir können ohne Schlaf nicht gesund leben.

Grenzen geben uns einen Rahmen vor

Manche Grenzen hängen miteinander zusammen. Und einige Grenzen können (und dürfen) sich je nach Lebenslage, Stimmung oder Situation auch mal verschieben. Manche Grenzen gestalten wir bewusst. Auf andere haben wir keinen oder nur wenig Einfluss.

Manchmal spüren wir Grenzen erst, wenn sie überschritten wurden. Und manchmal gehen wir bewusst oder unbewusst über eigene oder fremde Grenzen hinweg. 

Es gibt Grenzen, die sind verhandelbar. Und manche Grenzen sind nicht verhandelbar. Es gibt ein (Nicht-)Können und ein (Nicht-)Wollen.

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Welche Grenzen sind notwendig?

Auf diese Frage kannst du nur deine eigenen Antworten finden – und dieses Finden ist ein lebendiger Prozess.

In jedem Fall gilt aber:

Alles, was die Sicherheit und das Wohl von Menschen betrifft, muss geschützt werden.

Das betrifft das Wohl unserer Kinder, genauso wie unser eigenes und das unserer Mitmenschen – klar und nicht verhandelbar.

Andere Menschen mit Respekt zu behandeln, ist ebenso wichtig. Dies ist allerdings ein Lernprozess. Wir können unseren Kindern beibringen, dass sie für die eigenen Bedürfnisse eintreten können, ohne andere anzugreifen. Diese und andere Grenzen und Regeln werden sich im Lauf der Zeit entwickeln und immer wieder angepasst werden müssen – dem Alter der Kinder und der Situation entsprechend. 

Zwei weitere allgemeine Antworten, die ich für mich gefunden habe:

  1. Ich schütze mit Grenzen meine eigenen Ressourcen und mein Wohlbefinden. Ein Beispiel: Ich bin sehr lärmempfindlich. Meine Kinder wissen das, weil ich ihnen erkläre, was Lärm mit mir macht. Die Verantwortung für mein Wohlbefinden liegt bei mir. Sind meine Kinder sehr laut, finde ich Wege, mich vor Lärm zu schützen: Mal mit der Bitte um Ruhe, mal mit Noise-Cancelling-Kopfhörern, mal indem ich den Raum wechsele oder Aktivitäten umlenke. In jedem Fall kommuniziere ich meinen Kindern, was ich brauche – und was sie brauchen und tun können. Damit lebe ich meinen Kindern gesunde Abgrenzung vor.
  2. Ich schütze mit Grenzen meine Werte bzw. die Werte, die wir als Familie leben möchten. Diese Grenzen drücken sich z.B. aus in unserem Umgang mit anderen Menschen, unserer Wortwahl, Mediennutzung, Ernährung, Aktivitäten, Kaufentscheidungen.

Bei diesen individuellen Grenzen ist es oft ein Abwägen und Ausbalancieren:

  • Ich brauche Ruhe vs. mein Kind hat unendlichen Spaß, wenn es lauthals singt,
  • ich finde blinkendes Spielzeug furchtbar vs. mein Kind fühlt sich autonom, weil es etwas selbst aussuchen durfte,
  • ich möchte einen Ausflug machen vs. mein Kind will lieber zu Hause spielen.

Daraus ergibt sich noch eine sehr wichtige Unterscheidung:

Wünsche und Bedürfnisse sind nicht dasselbe

Was unsere Kinder wollen, ist nicht immer das, was sie brauchen.

Was meine ich damit?

Bedürfnisse sind lebensnotwendig: Körperliche Grundbedürfnisse sind z.B. Luft zum Atmen, Flüssigkeit und Nahrung, Schlaf. Jeder Mensch braucht ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit. Sehr wichtig sind auch die Bedürfnisse nach Autonomie und Selbstwirksamkeit.

Wünsche drücken etwas aus, das wir gern hätten, weil es uns Freude macht, angenehm oder schön ist – oder weil es ein möglicher Weg ist, ein Bedürfnis zu erfüllen.

Denn hinter Wünschen stecken oft Bedürfnisse: Hinter dem Wunsch nach Süßigkeiten könnten z.B. Hunger (Grundbedürfnis) oder das Bedürfnis nach Zuwendung oder Spaß stecken. Hinter dem Wunsch, im Winter draußen Sandalen anzuziehen, kann das Bedürfnis nach Autonomie stehen. Und mit dem Wunsch, einen Film zu schauen, kann ein Kind z.B. das Bedürfnis nach Entspannung ausdrücken.

Jedes dieser Bedürfnisse ließe sich auch auf anderen Wegen erfüllen.

Wünsche müssen nicht zwingend erfüllt werden. Bedürfnissen hingegen sollten wir Aufmerksamkeit schenken.

Frag dich bei Wünschen deines Kindes also:

  • Welches Bedürfnis steckt bei meinem Kind dahinter?
  • Ist die Erfüllung dieses Wunsches der beste (oder ein für mich akzeptabler) Weg, das Bedürfnis zu befriedigen? Oder gibt es vielleicht bessere Möglichkeiten?
  • An welchen Stellen kann ich ja sagen?

Genau dieselben Fragen gelten übrigens auch für unsere persönlichen Grenzen:

  • Welche Bedürfnisse drücken sich in meiner Grenze aus?
  • Ist diese Grenze notwendig oder gäbe es Alternativen?

Für mich ergibt sich daraus ein Raum, in dem wir abwägen, aushandeln, ausbalancieren, immer wieder Lösungen finden – oder manchmal auch nicht finden und Gefühle aushalten und begleiten dürfen.

Wichtig ist, dass sich unsere Kinder in ihren Wünschen und Bedürfnissen gesehen fühlen. Dabei kann positive Kommunikation sehr hilfreich sein. Wie genau das gehen kann, liest du hier.

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In a nutshell, fassen wir das Wichtigste also nochmal zusammen:

  • Grenzen zu setzen bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Für unsere Kinder, für uns, unser Umfeld, die Welt.
  • Die Sicherheit und das Wohl von Menschen sind nicht verhandelbar – hier sind klare Grenzen zwingend notwendig.
  • Individuelle Grenzen dienen eurem Zusammenleben und Wohlbefinden. Wie die aussehen, bestimmst du bzw. findet ihr gemeinsam heraus. Diese Grenzen unterscheiden sich von Mensch zu Mensch und von Familie zu Familie.
  • Grenzen dürfen und müssen sich entwickeln und immer wieder angepasst werden. Der Umgang mit Grenzen ist ein lebendiger Prozess. Hier dürfen wir auch hin und wieder feststellen, dass einige Grenzen für uns vielleicht keinen Sinn ergeben und sie verändern.
  • Wünsche und Bedürfnisse sind nicht dasselbe. Hinter Wünschen stecken oft Bedürfnisse, die wir im Blick haben sollten.
  • In unseren Grenzen drücken sich unsere Bedürfnisse ebenso aus. Das Grenzensetzen bietet eine gute Gelegenheit, um über Bedürfnisse und Werte zu sprechen – und unseren Kindern gesunde Abgrenzung vorzuleben.
  • Du darfst Wünsche deines Kindes erfüllen UND du musst nicht jeden Wunsch deines Kindes erfüllen.
  • Alle Gefühle deines Kindes zu deiner Grenze sind okay.

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2 Kommentare

  1. Aylin Caterina Bonanno

    Liebe Susanne,

    ich habe deine Seite gerade zufällig entdeckt, weil ich eine Hausarbeit über transgenerationale Weitergabe von Traumata schreibe. Unter anderem habe ich nach den (Grund)-Bedürfnissen von Kindern gesucht, weil bei Verletzung dieser, Traumatisierungen entstehen können die das Leben des Kindes, leider, nachhaltig negativ prägen können.

    Ich schreibe nie einen Kommentar und ich glaube das ist mein erster. Das betone ich, weil ich damit ausdrücken möchte, wie großartig ich deine Seite finde, mir die speichern werde und damit arbeiten und davon lernen werde.

    suuuuuper !!!!!!!! echt toll, ich bin ab jetzt dein Fan.

    Aylin

    • Danke für deine Worte, liebe Aylin! 🙂 Die bedeuten mir sehr viel! Transgenerationale Traumata sind ja ein riesiges Thema, das die allermeisten von uns direkt und in unterschiedlichen Ausprägungen betrifft. Die Auseinandersetzung damit lohnt sich aus meiner Sicht sehr. Ich wünsche dir mit deiner sehr wichtigen Arbeit alles Gute! <3 Susanne

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