Du wirst ja bald großer Bruder!“ – Ich weiß nicht, wie oft mein Sohn dies vor der Geburt seiner kleinen Schwester zu hören bekam. Von allen Seiten. Oft begleitet von einem gespielt begeisternden Tonfall und erwartungsvollen Blicken. Dabei wusste er noch gar nicht, was das genau für ihn bedeuten und wie sich unser Leben mit einem neuen Familienmitglied verändern würde.
Unser Sohn war knapp zweieinhalb Jahre alt. Für so einen kleinen Menschen ist es eine sehr abstrakte Vorstellung, dass in Mamas Kugelbauch ein Baby heranwächst, das bald zur Familie gehören und irgendwann ein „richtiges Kind“ werden soll. Von seiner neuen Rolle als „großer Bruder“ ganz zu schweigen…
Als die kleine Schwester dann da war, ist die anfängliche positive Aufregung schnell verflogen und stille Skepsis stellte sich ein. Unser Sohn wirkte ruhig, sehr zurückhaltend und vorsichtig, fast desinteressiert. Ein paar Tage später haben wir seine Unsicherheit und ein größeres Verlangen nach Zuwendung bemerkt, das er auf verschiedene Arten ausdrückte. Die Zuwendung und Bestätigung hat er von uns natürlich bekommen.
Alle Gefühle sind normal – und okay.
Die Zeit nach der Geburt eines Babys ist für das große Geschwisterkind eine sehr sensible Phase mit meist gemischten Gefühlen – nicht nur bei den großen Geschwisterkindern, die meist verunsichert sind. Sie erfordert von uns ganz viel Einfühlungsvermögen und Verständnis.
Die Situation ist für dein Kind alles andere als leicht: Stell dir vor, jemand Neues käme von einem Tag auf den anderen zu dir nach Hause und würde plötzlich die volle Aufmerksamkeit deines Kindes für sich beanspruchen, und dein Kind würde diese Person genauso lieben wie dich. Wie würde sich das für dich anfühlen?
Wut, Trauer, Verunsicherung, Nervosität, Angst, Vorfreude. Wenn du alle (ja, alle) Gefühle deines älteren Kindes als normal ansiehst – was sie definitiv sind –, wird dein Kind sie ebenso als normal empfinden. So machst du es ihm leichter, die Gefühle zuzulassen und mit ihnen umzugehen.
In diesem Artikel findest du, inspiriert von Dr. Laura Markham, 5 Ideen, Gedanken und praktische Tipps, wie du dein Kind in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt deines zweiten Kindes in seinen Gefühlen unterstützen kannst.
Am Ende des Artikels findest du ein Cheat Sheet mit liebevollen Worten, die deinem älteren Kind nach der Geburt Sicherheit schenken können.
Nun aber die Tipps, die sich für uns als sehr hilfreich erwiesen:
1. Wenn dein Kind negativ über das Baby spricht, nimm es zur Kenntnis und lass es wissen, dass es diese Gefühle immer mit dir teilen kann.
„Du fragst dich, ob wir das Baby wieder zurückschicken können? … Ich weiß, es ist eine große Veränderung für uns alle. Und manchmal wünschst du dir, dass alles wieder so ist, wie es war.
Mein Schatz, sie gehört jetzt zu unserer Familie – so wie du, Papa und ich. Wir sind ein Team, wir gehören zusammen.
Wenn du weinen musst, ist das okay. Ich weiß, das ist vielleicht nicht die Antwort, die du hören wolltest, und es ist für uns alle erst einmal hart, uns an die neue Situation zu gewöhnen. Komm immer zu mir, wenn du dich so fühlst, wie du dich gerade fühlst.
Du kannst mir immer sagen, was du denkst und wie du dich fühlst – und ich werde dich immer verstehen.“
2. Nicht wundern, wenn dein Kind trauert.
Sobald du deinem Kind verständlich gemacht hast, dass das Baby Teil der Familie ist und bleiben wird, setzt bei vielen Kindern eine Art Trauer ein. Das ist gut und wichtig. Denn sobald ein Kind anfängt zu trauern, wird es aufhören, gegen die neue Situation anzukämpfen und anfangen, sich damit zu arrangieren. Auch hier: Nimm die Traurigkeit deines Kindes an und erkenne seine Gefühle an:
„Du bist traurig, oder? Es ist okay, traurig zu sein. Wollen wir uns zusammen mit Teddy auf den Sessel kuscheln?“
3. Wenn dein Kind keinerlei Anzeichen von Eifersucht oder Wut zeigt, gib ihm die Erlaubnis, auszudrücken, was auch immer es fühlt.
„Manchmal können große Brüder Angst haben, dass Mama und Papa keine Zeit mehr für sie haben, wenn das Baby da ist. Aber ich möchte, dass du weißt: Egal, wieviel Zeit und Liebe deine Schwester gerade braucht, es ist mehr als genug für dich da. Wenn du in den Arm genommen werden musst, komm zu mir. Ich freue mich immer, wenn du bei mir bist und wir kuscheln können. Wenn du sauer bist oder traurig, komm zu mir und sag es mir. Ich bin immer für dich da und helfe dir, damit es dir besser geht. Okay?“
Viele würden vielleicht denken, damit hätte ich meinem Sohn einen Floh ins Ohr gesetzt. Aber das Gegenteil war der Fall. Denn jedes Kind hat Gefühle in Bezug auf die neue Situation und das Baby. Positive wie negative. Auch, wenn es diese nicht unbedingt eindeutig sichtbar zeigt. Und sollten diese Gefühle unangenehm oder negativ sein, öffnen wir auf diese Weise einen Raum für unser Kind, diese Gefühle zuzulassen und zu verarbeiten. Achtsamkeit und psychische Hygiene. Sehr wichtig fürs Leben.
4. Wenn Verwandte, Freunde, Nachbarn oder Fremde das Baby bewundern, stelle sicher, dass dein älteres Kind immer einbezogen wird.
„Ja, unser Baby ist süß – genauso süß wie sein großer Bruder.“ oder „Wir sind total stolz und glücklich, jetzt ZWEI so wundervolle Kinder zu haben.“
Es mag banal klingen, aber diesen Punkt finde ich unheimlich wichtig. Denn meist ist es das Baby, das in den kommenden Wochen für verzückte Ausrufe à la „Oh, wie süß! Diese kleinen Händchen… und das niedliche Stupsnäschen…“ sorgt, denen viele interessierte Fragen rund um den Neuzugang folgen. Das größere Kind wird damit (gefühlt) in die zweite Reihe gesetzt.
Meiner Erfahrung nach hören Kinder sehr genau hin, was über sie gesagt (oder eben nicht gesagt) wird. Selbst, wenn sie nicht den Anschein machen. Bei all den Lobgesängen über das Baby nicht vergessen zu werden bzw. ebenso viel Beachtung und liebevolle Worte geschenkt zu bekommen, ist Balsam für die Kinderseele. Nicht nur in der Anfangsphase, sondern immer.
5. Hilf, deinem Kind zu verstehen, dass das Baby wachsen, Neues lernen und sich die Situation irgendwann verändern wird.
Für uns ist es selbstverständlich: Das Baby wird nicht immer so klein sein. Es wird nicht immer so viele Stunden schlafen müssen. Oder so viel Milch trinken und immerzu getragen werden müssen. Für uns ist auch klar, dass beide Kinder schon bald zusammen spielen werden. Aber dein Kind hat noch keine Vorstellung davon, dass dieses hilflose, schreiende Wesen irgendwann zu einem Spielgefährten heranwachsen wird.
Deshalb halte ich es für wichtig, dem älteren Geschwisterkind verständlich zu machen, dass es auch mal so ein kleines Baby war. Dass nach seiner Geburt auch alle ganz aufgeregt waren und dass es jeden Tag ein Stück gewachsen und nun so groß ist.
Gemeinsam Baby-Fotos oder -Videos anzuschauen mit der einen oder anderen Anekdote aus seiner Babyzeit half unserem Sohn in den ersten Wochen und Monaten sehr. Ebenso erklärten wir ihm bei jeder passenden Gelegenheit:
„Als du ein kleines Baby warst…
… hast du auch immer am liebsten in meinem Arm geschlafen,
… warst du mit uns auch immer in der Trage unterwegs,
… musstest du auch alle unsere Lichtschalter ganz genau untersuchen,
… hast du dieses oder jenes lustig gefunden und dann ganz laut gelacht. Da haben wir uns auch immer gefreut.“
Diese Erklärungen haben für unseren Sohn einen großen Unterschied gemacht und tatsächlich zu mehr Verständnis geführt, wenn seine kleine Schwester viel Aufmerksamkeit und Zeit einforderte.
Wichtig ist es, dass sich dein älteres Kind gesehen und verstanden fühlt. Empathie ist der Schlüssel zu deinem Kind. Nimm es genau so an, wie es sich fühlt. Es braucht auch nicht immer Worte. Manchmal reichen eine ganz lange, innige Umarmung – und Schweigen.
Probier die Tipps mal aus und schreib mir gern in die Kommentare, welche Ideen für dich am hilfreichsten waren! Hast du vielleicht noch weitere Tipps?
Wenn du wissen möchtest, wie deine Kinder von Anfang an, also direkt ab Geburt des kleinen Geschwisterchens, eine gute und gesunde Beziehung entwickeln können und wie du sie dabei unterstützen kannst, dann lies gleich hier weiter.
Danke für die wertvollen Tipps. Uns hat sehr in die Karten gespielt, dass unsere Großen schon ein ganzes Stück älter sind und so die Schwangerschaft und Geburt sehr bewusst miterlebt haben. Ich habe mir vorher viele Gedanken und bin froh, dass du es letztendlich (bisher) so entspannt war.
Liebe Grüße
Natalie